Prof. Dr. Zierer ist Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Gemeinsam mit John Hattie hat er mehrere Bücher zum Thema Visible Learning verfasst. Sein neues Buch „Demokratie in die Köpfe“ ist ein Weckruf für mehr Demokratie im System Schule.

Die Rede konnte aus Termingründen leider nicht wie geplant stattfinden. Prof. Dr. Zierer hat jedoch die Kernthesen seiner Rede für uns formuliert, die wir hier mit euch teilen wollen.

 

Mit dem deutschen Bildungssystem geht es schon lange bergab:

Seit zehn Jahren beobachten wir einen Rückgang der Lernleistungen. Ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler verfügen am Ende ihrer Schullaufbahn nicht über ausreichende Kompetenzen im Lesen, Rechnen und Schreiben.

Seit zehn Jahren müssen wir feststellen, dass die heranwachsende Generation immer weniger Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen hat. Unserem Bildungssystem gelingt es nicht, jungen Menschen Demokratiefähigkeit zu vermitteln.

Seit zehn Jahren nehmen Probleme in der psychosozialen Entwicklung zu. Immer mehr junge Menschen leiden an Depressionen und psychosomatischen Erkrankungen.

Seit zehn Jahren sinkt die körperliche Fitness von Kindern und Jugendlichen. Am deutlichsten wird dies an der wachsenden Zahl von Nichtschwimmern, die seit Jahren beklagt wird.

Angesichts all dessen stellt sich die Frage: Wie muss die Schule von heute aussehen, um ihren Bildungsauftrag zu erfüllen?

 

Re-Humanisierung des Systems Schule

Bildung steht in einem direkten Zusammenhang mit der Wirtschaftskraft und Demokratie eines Landes. Investitionen in Bildung sind wichtig, aber nicht einfach nur in eine naive Digitalisierung. Wir brauchen dringend eine Re-Humanisierung des Systems Schule. Hierzu sind aus meiner Sicht drei Punkte wichtig:

 

Schulen als demokratische Orte

Schulen müssen mehr denn je demokratische Orte sein. Wo, wenn nicht in Schulen, sollen Kinder lernen, was Demokratie als Lebensform bedeutet? Wir brauchen Schulen, in denen miteinander diskutiert und gestritten wird – und zwar an aktuellen Themen unserer Zeit. Wir brauchen hierfür Zeit und Räume, um diese Themen in Schulen auch aufgreifen zu können. Eine Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten – und diese brauchen entsprechende Bildungsangebote.

 

Schulen als soziale Orte

Schulen müssen mehr denn je soziale Orte sein. Zu lange dominierte im Bildungssystem das Lernen im Alleingang, das durch eine falsch verstandene Digitalisierung sogar noch verstärkt wird. Derweil wissen wir, wie wichtig soziale Interaktion und Gleichaltrige im Bildungsprozess sind. Wenn Studien zeigen, dass die Freude am schulischen Lernen in der ersten Jahrgangsstufe noch bei 100 Prozent liegt und danach stetig abnimmt, bis zu einem Drittel in der neunten Jahrgangsstufe, dann ist etwas im Argen. Denn Freude ist der Motor des Lernens. Und Freude vermehrt sich, wenn man sie teilt.

 

Schulen als musische Orte

Schulen müssen mehr denn je musische Orte sein. Wir müssen aufhören, die wichtigsten Fächer an den Rand der Stundentafel zu stellen oder noch schlimmer: abzuwracken. Also Kunst, Musik und Sport, aber auch Hauswirtschaft und Handarbeit sind zu stärken. Sie sind die Fächer mit dem größten Bildungsgehalt, weil sie Kommunikation, Kooperation, Kreativität und eine positive Fehlerkultur fördern – Kompetenzen, die in der heutigen Zeit dringend benötigt werden.

Schule ist wirkmächtig. Wo wenn nicht hier sollen junge Menschen auf die Anforderungen von morgen vorbereiten werden? Daher ist es höchste Zeit, Bildung ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte zu rücken.